Wie die Schweiz Frieden schafft
Die internationale Friedensförderung und Friedenspolitik der Schweiz stand im Zentrum des Herbstanlasses der SP Rodersdorf. Laurent Goetschel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel und Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace, war am Samstag, 2. November zu Gast im vollen Gemeindesaal.
Laurent Goeschtel referiert in Rodersdorf.
Die Übungsanlage sei etwas gewagt, meinte Laurent Goetschel zum Auftakt: An einem Samstagvormittag noch vor 10 Uhr ein Referat mit Gruppenarbeit. Entsprechend beeindruckt zeigte er sich angesichts der mehr als dreissig interessierten und wachen Gesichter im Publikum. Mit diesem Herbstanlass knüpfe die SP Rodersdorf an eine alte Tradition an, sich einmal im Jahr Zeit zu nehmen, gemeinsam wichtige Themen vertieft mit einer Fachperson zu diskutieren, sagte Véronique Hilfiker, Gemeinderätin und Vorstandsmitglied der SP Rodersdorf. Sie hatte den Anlass gemeinsam mit Maya Rechsteiner organisiert.
Angesichts der weit verbreiteten Ohnmacht gegenüber den Kriegsgeschehnissen gehe es darum, was die Schweiz konkret tun könne als friedensförderndes Land, so Véronique Hilfiker. Zu diesem Thema sei Laurent Goetschel ein gefragter Experte. Dies als Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel sowie Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace, aber auch mit seiner breiten Erfahrung in der Praxis – etwa als ehemaliger Journalist und persönlicher Mitarbeiter von Micheline Calmy-Rey in ihrer Zeit als Bundesrätin.
Blick von der Insel in die Welt
Die Schweiz, eine rote Insel, wie bei Asterix und Obelix? Zum Einstieg zeigte Laurent Goetschel eine Europakarte mit der Schweiz mittendrin. Diese sage einiges über das Verhältnis unseres Landes zur Welt aus – wobei die Schlussfolgerungen verschieden seien: Sind wir als Teil des Ganzen in der Verantwortung, gerade weil es uns besser geht als den meisten anderen? Oder sollen wir vor allem zu uns selber schauen, so wie die anderen zu ihren Gärtchen schauen sollen? In diesem widersprüchlichen Spektrum bewege sich die Schweizer Aussenpolitik, so der Politikwissenschaftler. Entsprechend werde in der Bundesverfassung die «Wahrung der Unabhängigkeit und Wohlfahrt» im selben Artikel als Ziel verankert wie die Förderung des «friedlichen Zusammenlebens der Völker» und die Förderung von Menschenrechten und Demokratie. Solche Zielkonflikte zwischen Menschenrechten und der Wohlfahrt der Schweiz zeigten sich etwa im Umgang mit China.
Ein wichtiges Instrument in der Schweizer Aussenpolitik ist für Goetschel die internationale Zusammenarbeit: Für Engagements in der Friedens-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik stünden jährlich rund drei Milliarden Franken zur Verfügung – wobei nun Kürzungen debattiert würden.
Konflikte sind normal
Dann gewährte Goetschel einen Einblick in den Werkzeugkasten der Friedensförderung. Dies fängt bei den Begriffen an: «Konfliktlösung» sei zu kurz gedacht, es gehe bei Friedensförderung nicht darum, dass Konflikte verschwinden. Konflikte seien völlig normal, solange es Menschen gebe, ja sogar «etwas Spannendes, manchmal hilft es, sie bewusst zuzuspitzen, um die Probleme besser zu sehen», so Goetschel. Erst die Gewalt sei das Problem – die organisierte, systematische Gewalt in Kriegen.
Die Arbeit in der Friedensförderung fängt denn auch viel früher an: Bevor Gewalt ausbricht, und sie geht nach einem Waffenstillstand lange weiter. Das Ziel sei ein Zustand, wie er sich etwa in der EU beobachten lasse: Es wird heftigst gestritten, aber in Institutionen und mit Verfahren und Normen, so dass eine kriegerische Eskalation unwahrscheinlich ist. Die europäische Integration bezeichnete Goetschel, Sohn einer Elässserin, als eindrückliches Beispiel einer «Konflikttransformation»: «Die Deutschen und Franzosen haben sich nach 1945 nicht plötzlich geliebt, aber es war Frieden.»
Mediation als Alternative zu Gewalt
Wobei das Modell der Konflikttransformation, mit dem bei Swisspeace gearbeitet wird, nicht mit dem Frieden als Endpunkt aufhört – es ist ein Kreis: Jeder Friede kann in eine neue Eskalationsspirale münden. Ein Konflikt soll analysiert werden, frühe Anzeichen einer gewaltsamen Eskalation sollen erkannt, früh reagiert und eine Lösung herbeigeführt werden, die aus Sicht der Konfliktparteien ein Mindestmass an Gerechtigkeit beinhaltet. Wenn beispielsweise Nomaden wegen einer Dürre ihre Tiere über Felder von Bäuerinnen treiben, kann Gewalt verhindert werden, wenn rechtzeitig gemeinsam Durchmarschrouten für das Vieh festgelegt werden. Das Mittel dazu ist die Konfliktmediation. Diese funktioniert, wenn die Konfliktparteien in Gesprächen eine günstigere und effizientere Option sehen als in Gewalt – wobei Kämpfe und Gespräche oft parallel stattfinden.
Je mehr Themen über Mediation gelöst würden – im Ukrainekonflikt etwa mit dem Getreideabkommen – desto eher könne von solchen «Inseln» aus ein Bogen zu einem umfassenden Frieden geschlagen werden. Als erfolgreiche Beispiele, bei denen die Schweiz eine aktive Rolle spielte und spielt, nannte Goetschel die Loslösung des Südsudan oder den Friedensprozess in Kolumbien.
In den Gruppen wurde engagiert diskutiert.
Nahost und Ukraine
Schliesslich war das Publikum an der Reihe und wandte den Werkzeugkoffer auf die ganz grossen Themen an: In Gruppen wurden die Kriege in Nahost und der Ukraine engagiert und kenntnisreich diskutiert. Dabei weitete sich der Blick weg von den Kriegsschlagzeilen hin zur Analyse der einzelnen Konfliktparteien, der Konfliktinhalte und zu möglichen Ansatzpunkten, die Gewaltspirale zu durchbrechen.
Eine Lösung gefunden wurde an diesem Samstagmorgen in Rodersdorf selbstverständlich für keinen der Kriege. Hingegen wurde der Boden gelegt für eine differenzierte und lösungsorientierte Debatte dieser hochemotionalen Themen.
Laurent Goetschel mit den Organistorinnen Maya Rechsteiner und Véronique Hilfiker
Zum Schluss erhielt Laurent Goetschel von Maya Rechsteiner eine Tasche voller Leckereien aus dem Laden überreicht. «Ein durchaus friedensförderndes Projekt in unserem Dorf», wie sie bemerkte: «Eine Institution, wo man sich trifft und wo man manches klären kann.»
Text: Timm Eugster
Bilder: Peter Steiger